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Predigt von Zeitzeuge Pfarrer i.R. Rolf Wagner zur Gedenkveranstaltung zum 12. März 1945,
gehalten am 12. März 2005 in der Kreuzkirche zu Betzdorf
Gnade und Friede sei mit Euch !
Liebe Gottesdienstbesucher, Schwestern und Brüder !
Wir wollen heute an das denken, was vor 60 Jahren über Betzdorf herein kam, als Bomben alles in Schutt und Asche legten.
Die Heilige Schrift fordert uns zu solchem Gedenken auf: „Gedenke der vorigen Zeiten und habe acht auf die Jahre von Generation zu Generation. Frage deine Väter und Ältesten, damit sie dir sagen, was geschehen ist.“ (5.Mose 37,7)
Ich möchte das in 4 Schritten mit Euch tun:
1. Was geschah damals ?
2. Warum geschah das ?
3. Wozu geschah das ?
4. Was geht uns das heute an ?
Dabei bin ich mir bewusst, dass die meisten von Euch einen großen Abstand haben zu alledem.
1. Was geschah damals, im Februar und März 1945 ? „Da ließ der Herr Schwefel und Feuer vom Himmel regnen herab.“ (1.Mose 19,24) lesen wir in der Bibel. Gott hat viele Möglichkeiten, solches zu tun- ob durch Vulkanausbrüche oder durch Bombenabwürfe.
Es waren jedenfalls schreckliche Tage und Wochen im Februar und März 1945. Ich habe sie erlebt als knapp 11-jähriger Junge. Vorwitzig war ich, neugierig, steckte meine Nase oft in Angelegenheiten, die mich eigentlich nichts angingen, die ich oft nicht verstand, aber die ich gut behielt und erst später verstand. Wir wohnten damals hier gegenüber, Schulstraße 22, in dem Haus wo Jahre zuvor Pfarrer Axenfeld gewohnt hatte. Beim 1.großen Bombenangriff am 19.Februar wurde dieses Haus getroffen und brannte ab. Wir saßen im Keller und konnten nicht raus, weil die Tür nach außen verschüttet war. Wir hatten wahnsinnige Angst. Praktisch im letzten Moment räumten Volkssturm-Männer, von uns in unbewusster Ironie „Opa-Soldaten“ genannt, die Tür frei, sodass wir raus und dem Feuer entrinnen konnten. In nasse Decken gehüllt floh unsere Mutter mit uns drei Kindern die Schulstraße hinauf, Richtung Bunker. Im letzten Haus davor fanden wir dann bei Fam. Blosen Unterschlupf im Keller. Ich muss vor Angst und Aussichtslosigkeit, Wut und Trauer und Unverständnis so schockiert gewesen sein, dass ich nicht mehr weiß, wie es denn weiterging. Es gab jeden Tag, jede Nacht wieder Alarm, es krachte immer wieder. Aber darüber, wie es weitergehen sollte, wurde nicht geredet. Mit unserer Angst waren wir allein.
Ich weiß dann nur noch, dass am 12.März auch unsere Zuflucht getroffen wurde, wie viele Häuser. Dass nahe Verwandte tot unter den Trümmern ihres Hauses blieben, mein Cousin im Bunker erstickte. Und dass meine Mutter dann irgendwo ein klappriges Holzgasauto mit Fahrer organisiert hatte, das uns –begleitet von Tieffliegerangriffen- ins Sauerland zu ihren Eltern brachte.
Viel stärker als die Zerstörung unserer Wohnung hat mich allerdings die Zerstörung unserer Kirche hier getroffen, die lichterloh brannte, und deren hoher, spitzer Turm dann brennend umkippte. In den Kriegsjahren war ich mehr bei Küster Bramkamp gewesen als zuhause und kannte dadurch die alte Kirche bis in den letzten Winkel, und liebte sie: die schönen Malereien, mit dem Spruch im Altarraum: „Wir haben hier keine bleibende Statt, sondern die Zukünftige suchen wir“ – ohne die bittere Wahrheit zu verstehen; der röhrende Hirsch hier über dem Taufstein „Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser“; die tolle Altarbibel mit der handschriftlichen Widmung von Kaiserin Auguste Viktoria, die ich sogar einmal mit Herrn Bramkamps Hilfe mit in die Schule nehmen durfte, in den Unterricht von Frl. Stinner.
Besonders angetan aber hatten es mir die Glocken, schon früh durfte ich helfen sie zu läuten, oben im Läutestübchen, mit dicken Stricken. Deshalb ist mir in böser Erinnerung, wie 1942 die drei großen Glocken aus dem Turm geholt wurden, um eingeschmolzen zu werden. Herr Bramkamp hatte die Kirchenschlüssel verweigert und dann gesagt, das sei Einbruch und die Glocken seien geklaut, was ihm später das Küsteramt kostete. Mein Onkel Ferdinand hat gesagt: „Jetzt ist der Krieg verloren“ und mit anderen alten Männern Trauerschleifen um die Glocken gebunden.
Von Bedeutung für mein Leben bis auf diesen Tag aber war das, was ich hier in der Kirche erlebt habe: Die Kindergottesdienste mit Pfarrer Winterberg, Hedwig Brunner und manchmal Otto Adorf. Sie haben die Botschaft des Herrn so verkündet, dass sie bei mir Wurzeln schlug. Ich wollte schon damals Pastor werden. Dass dies nur auf mancherlei Umwegen geschah, daran waren die Bomben schuld: weg von Betzdorf, kein Gymnasium mehr. Stattdessen Landleben, einklassige Landvolksschule, viel Zeit zum Blödsinn machen im Sauerland.
Geblieben aber ist die Angst, die immer wieder durchkommt, wenn Sirenen heulen oder Flugzeuge über mich fliegen. Und die Erinnerung an einen Brief, der im März 1945 aus Betzdorf ins Sauerland kam und meine Mutter aufforderte, den Hitlerjungen Rolf Wagner zur Heimatverteidigung zurück zu bringen. Absender war Kreisleiter Venter. Mein Opa warf den Brief in den Ofen. Mir aber blieb die Angst, dass man mich holen würde. Und mit dieser Angst blieb ich allein. Jahre später ist mir an diesem Brief deutlich geworden, wie wahnsinnig dieses ganze Kriegsgeschehen war. Als hier die Bomben fielen, als der Brief geschrieben wurde, waren die Amerikaner schon bei Remagen über den Rhein ! …
2. Warum geschah dieses und vieles mehr ? In der Bibel lese ich: „Und der Herr sah, dass der Menschen Bosheit groß war auf Erden“ (1.Mose 6,5).
In den Bombentagen hörte ich bei den Erwachsenen immer wieder zwei Fragen: „Wie kann Gott das zulassen ?“, „Womit haben die das verdient ?“. Die, das waren die, die es getroffen hatte. Antworten habe ich keine gehört damals.
Man könnte sicher lange über das „Warum“ diskutieren. Auch darüber, ob man hier Gott ins Spiel bringen darf. Wenn ich aber glaube, dass Gott der Herr über Himmel und Erde ist, muss ich das tun und muss auch fragen, welche Rolle hier Menschen spielen.
Dabei geht es nicht darum, einen Schuldigen zu suchen, um den zu bestrafen. Die, die damals in den Flugzeugen saßen und die Bomben geworfen haben, die konnten so wenig wie unsere deutschen Soldaten aus dem ganzen System „Krieg“ aussteigen, ob sie wollten oder nicht. Sie mussten tun, was ihnen befohlen war –auch wenn diese Befehler gewissenlose Gestalten waren. Wir wissen heute von ehemaligen Piloten damals, dass sie gewaltige Gewissensbisse hatten.
Wir müssen da weiter sehen ! Das Feuer, das Betzdorf verbrannte, haben lange vorher Hitler und seine Schergen gelegt – da nämlich, als sie die Synagogen anzündeten, die Nachbarländer überfielen, Bombenangriffe 1939 auf Warschau, Amsterdam und Südengland flogen, in KZs Millionen Menschen vergasten und verbrannten. Dieses Feuer ist nach Deutschland zurückgekehrt, als Flächenbrand außer Kontrolle geraten. Wer Gott missachtet und sich an seine Stelle setzt, der bringt Unheil über Volk und Land. Und da bleibt Gott dann nur eins – das tun, was die Feuerwehr tut, wenn ein Flächenbrand nicht mehr zu löschen ist: ein Gegenfeuer legen, das dann den Flächenbrand erstickt.
Wer von Betzdorfer Leid spricht, darf von Deutschlands Schuld nicht schweigen ! Das heißt nicht, dass andere unschuldig sind; das heißt auch nicht, dass die heute hier Lebenden damit belastet werden dürfen ! Aber deutlich muss gesagt werden, was das Hitler-Regime damals verbrochen hat.
Das sind keine Schauermärchen, wie manche behaupten. Das sind Realitäten, für die es Zeugen gibt. Bei meinem ersten Besuch in unserer Patengemeinde in Oberschlesien 1981 bin ich im dort benachbarten Auschwitz gewesen, begleitet vom damaligen Vorsteher der jüdischen Gemeinde in Köln. Er ist einer der wenigen, die 1945 lebend aus Ausschwitz rausgekommen sind, seine ganzen Angehörigen wurden dort ermordet. Wir haben vor den Leichenöfen gesessen und geheult. Dann hat er in hebräischer Sprache gebetet. Ich habe gefragt, was er gebetet habe. „Das kennst du auch: Lobe den Herrn meine Seele, und was sie mir ist seinem heiligen Namen. Lobe den Herrn meine Seele, und vergiss nicht was Er dir Gutes getan hat. Der dir alle deine Sünden vergibt und heilt alle deine Gebrechen.“ Ich habe ihn groß angeschaut. Er sagte da nur: “Ja, Gott war auch in Auschwitz.“ …
3. Damit sind wir beim 3.Schritt. Wozu geschah das alles ? „Wenn ihr nicht umkehrt zu Gott und euer Leben ändert, wird es euch allen genau so gehen !“ (Lukas 13,3) hat Jesus gesagt, als es angesichts ähnlicher Katastrophen nach deren Sinn gefragt wurde.
Seht: Gott war auch in Betzdorf vor 60 Jahren. Des bin ich ganz sicher. Und zwar deshalb, weil er trotz allem nicht unser Verderben will, sondern dass wir Zukunft und Hoffnung haben (Jeremia 29,11). Deshalb greift er – menschlich gesprochen – notfalls zum letzten Mittel, um uns zur Umkehr zu bewegen, es anders und besser zu machen.
Umkehren zu Gott heißt, dass wir ihn als den Herrn der Welt und unseres Lebens annehmen, auf ihn und seine Gebote hören, und ihm über alle Dinge vertrauen. Wer das tut, der kann mit anderen Menschen menschlich und gerecht umgehen, der kann alles was er zum Leben hat, als Gottes Gabe ansehen und entsprechend verantwortlich gebrauchen und werten, und mit anderen teilen. Wer Gott seinen Herrn sein lässt, hat es nicht mehr nötig, Gewalt auszuüben, habgierig zu sein, andere Menschen zu berauben und umzubringen. Der macht die großartige Erfahrung, dass Gott Lebensraum für alle hat und er selbst nicht zu kurz kommt.
Um uns zu solcher Einsicht zu bringen, muss Gott um unsertwillen dann oft hart durchgreifen. Um das zu erreichen, muss er solche Katastrophen wie vor 60 Jahren gewähren lassen. Das ist hart, aber wahr.
4. Was geht uns das heute an ? „Da glaubten die Leute … und änderten ihr Leben“ (Jona 3,5) berichtet die Bibel von den Bewohnern Ninive’s. Das gibt es also, das geht. Auch bei uns. „Geht nicht gibt’s nicht.“ (Nicht nur bei Praktiker …)
Wir Christen müssen damit anfangen. Wer denn sonst ! Wir müssen es unseren Politikern und Managern zeigen. Das ist der einzige Weg, um neuen Krieg, neue Not, neue Zerstörung zu verhindern. Gott traut uns zu, dafür Sorge zu tragen, dass so etwas wie damals nie wieder geschieht. Anfänge sind sichtbar !
Als im April 1945 der Krieg zu Ende war, da wurde nicht geklagt und gejammert. Da wurde aufgeräumt, aufgebaut, mit den vorhandenen bescheidenen Mitteln und Kräften das Menschenmögliche getan.
Als ich 1949 nach Betzdorf zurück kam, gab es noch viele Trümmerhaufen. Aber einer half dem anderen, wieder ein Dach über dem Kopf zu finden. Die Kirche hier war aufgeräumt, hatte wieder ein Dach. Viele haben angepackt, vieles ist selbst gemacht worden. Ich bin heute noch dankbar dafür, dass ich hier mithelfen durfte. In Pastor van der Zwaag fand ich sehr schnell einen väterlichen Freund, der das, was Pastor Winterberg einst in mir begonnen hatte, zu neuem Leben weckte und förderte. Ohne ihn wäre ich wohl nie Pastor geworden. Und beim Aufbau dieser Kirche hier habe ich vieles gelernt, was mir später sehr zugute kam, als ich 1979 selbst dann als Pastor eine Kirche bauen musste. Trotz knapper Gelder und Materialien war die Kirche hier 1952 wieder fertig – bis dahin fand die Gemeinde gastliche Unterkunft von 1945 – 1948 in der katholischen Pfarrkirche, ab dann im Saal des Vereinshauses.
Ein anderes Beispiel dafür, wie Umkehr und Lebensänderung aussehen, erlebte ich kurz vor dem letzten Weihnachtsfest. Da haben wir in der Venn-Eifel, wo wir jetzt wohnen, der furchtbaren Ardennen-Schlacht vor 60 Jahren gedacht, wo die meisten Dörfer hier total zerstört wurden und mehr als 70.000 Menschen ihr Leben lassen mussten. Nun, nach 60 Jahren, standen die ehemaligen Feinde als Freunde beieinander: Soldaten aus Amerika, England, Frankreich, Belgien und Deutschland. Als ein sehr alter englischer General die Stufen zum Gedenkkreuz allein nicht schaffte, trat gegen alles Protokoll eine junge deutsche Soldatin aus dem 1. Glied und bot dem alten Herrn ihre Hilfe an, die er ungeniert annahm. Ein Zeichen dafür, dass es auch anders geht, und besser, als damals vor 60 Jahren.
Ein weiteres Zeichen, dass wir auch anders denken und leben können, ist die ungeahnte Hilfsbereitschaft, die sich für die Opfer der Flutkatastrophe am 2. Weihnachtstag im indischen Ozeanbereich zeigte, die sagenhafte Möglichkeiten auf die Beine brachte.
Und seht – in dieser Weise müssen wir, die wir heute leben und die wir Zukunft haben wollen, weiter machen ! Daran müssen wir alle arbeiten, Alte wie Junge. Wenn wir so wie jetzt die Vergangenheit in die Gegenwart holen, dann doch wohl dazu, um für die Zukunft daraus zu lernen. Lasst uns die schrecklichen Ereignisse von damals zum Auftrag dazu werden, es in Zukunft besser zu machen. So etwas wie damals darf nie wieder geschehen !
Solches Leben hat die Verheißung unseres Gottes für sich, der gesagt hat: „Ich weiß wohl, was für Gedanken ich mit euch habe, Gedanken des Friedens und nicht des Leides, um euch zu geben Zukunft und Hoffnung.“ (Jeremia 29,11).
„Das Geheimnis der Versöhnung heißt Erinnerung“, diese Worte Martin Bubers hat Bürgermeister Lieber in dem Buch von Thomas Bartolosch „Weg des Erinnerns“ zitiert. Möge unser Erinnern uns dazu führen, uns mit denen zu versöhnen, mit denen wir damals gekriegt haben. Mögen wir gemeinsam die Aufforderung des Propheten Jeremia befolgen: „Suchet der Stadt Bestes …, und betet für sie. Denn wenn es ihr gut geht, dann geht es euch auch gut“ (Jer.29,7).
Nur so können wir miteinander leben, auch wenn wir unterschiedlich denken, glauben, aussehen, leben. Und wenn das geschieht, dann ist Betzdorf wieder das, was ihm vermutlich vor langer Zeit seinen Namen gab: Bets-Dorf, - Dorf, Stadt wo gebetet wird – so wie einst die Bergleute aus der weiten Umgebung, aus dem ganzen Haigergau nach hier kamen, um in der Barbara-Kapelle zu beten. „Wer betet, handelt so wie Gott es will !
Gott gebe uns dazu das Wollen, und die Kraft, es zu tun.
Amen.
Laß mich, Herr,
Im Dunkel dein Licht erblicken;
Im Schweigen deine Stimme vernehmen;
Im Reden deiner Liebe Bote sein;
Im Glück den Weg zu dir gehen;
In der Sorge deiner Vorsehung vertrauen;
Im Leid deiner Kraft teilhaftig werden;
In der Ruhe deiner dankbar gedenken:
In all meinem Tun dir die Wege bereiten;
Im Tod das ewige Leben gewinnen
und so die Wahrheit deiner Verheißung erfahren:
„Ihr seht mich, weil ich lebe,
und weil auch ihr leben werdet.“
Gedenkworte von Bürgermeister Michael Lieber zur Gedenkveranstaltung zum 12. März 1945,
gehalten am 12. März 2005 in der Kreuzkirche zu Betzdorf
Wir haben gehört, gesehen und fühlen, was in diesen Tagen im März 1945 und davor alles passiert ist. Wir verarbeiten dies in unseren Gedanken und sind erstaunt, fassungslos, überwältigt. Gefühle können wir nur aus unseren Gedanken entwickeln. Wir haben es nicht erlebt. Wir waren nicht dabei, deshalb ist es wichtig, dass wir aus Erinnerung hören und sehen. Erinnerung ist ein tiefes menschliches Empfinden. Wir erinnern uns im persönlichen Bereich an die Kindheit, das Erwachsenwerden; zumeist ist es verbunden mit Menschen oder tief einschneidenden Erlebnissen. Die meisten Bürgerinnen und Bürger aus Betzdorf und der Region können sich an die erste Hälfte des letzten Jahrhunderts nicht mehr erinnern, 24 % sind vor 1945 geboren.
Viele Zeitzeugen sind nicht mehr unter uns und werden jedes Jahr weniger. Dadurch geht auch ein Stück Erinnerung verloren. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir uns erinnern ! Dies ist anschaulich gelungen, mit dem „Weg des Erinnerns“. Auf diesem Weg wird Betzdorfer Geschichte lebendig und erfahrbar.
Viel Leid ist im letzten Jahrhundert geschehen. Bei uns in Betzdorf sind 138 Menschen Opfer der Bomben geworden. 82 Betzdorfer Kinder verstarben in den letzten Kriegswochen an der „Bunkerkrankheit“. Heute gedenken wir in Trauer aller Opfer. Unendliches Leid ist über unsere ehemaligen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger gekommen. Es gibt nur noch wenige Juden in Deutschland. In Betzdorf und unserer Region leben keine mehr. Damit ist auch ein Stück Kultur verloren gegangen und kommt nie wieder. Es wird an uns und künftigen Generationen liegen, die Erinnerung daran wach zu halten. So und im Bekenntnis zum jüdischen Staat Israel werden wir uns versöhnen.
Was lernen wir daraus jetzt und in der Zukunft ? Mitbürgerinnen und Mitbürger dürfen nicht verfolgt werden, weil sie anders denken, anders glauben oder anders aussehen. Es sind heute wie damals unsere Nachbarn. Zum Zusammenleben gehören vor allem Toleranz und Nächstenliebe. Nie wieder dürfen in Stadt und Land Gebets- und Gotteshäuser brennen. Deshalb ist es so wichtig, was der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber (1878 bis 1965) ausdrückte:
„Das Geheimnis der Versöhnung heißt Erinnerung.“
Der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker sagt dazu in seiner Rede zum 40-jährigen Kriegsende am 8.Mai 1985:
„Der ganz überwiegende Teil unserer heutigen Bevölkerung war zur damaligen Zeit entweder im Kindesalter, oder noch gar nicht geboren. Sie können nicht eine eigene Schuld bekennen für Taten, die sie gar nicht gegangen haben. Kein fühlender Mensch erwartet von ihnen, ein Büßerhemd zu tragen, nur weil sie Deutsche sind. Aber die Vorfahren haben ihnen eine schwere Erbschaft hinterlassen. Wir alle, ob schuldig oder nicht, ob alt oder jung, müssen die Vergangenheit annehmen. Wir alle sind von ihren Folgen betroffen und für sie in Haftung genommen. Jüngere und Ältere müssen und können sich gegenseitig helfen zu verstehen, warum es lebenswichtig ist, die Erinnerung wach zu halten.
Für uns kommt es auf ein Mahnmal des Denkens und Fühlens in unserem eigenen Inneren an.“
Mein Dank gilt allen, die diesen Nachmittag heute gestaltet haben. Der evangelischen und katholischen Kirchengemeinde und ihren Pfarrern sowie dem Verein Betzdorfer Geschichte.